Bahn-Manager: Genehmigungschaos auf Bahnstrecke in Angermund

Ist die  wichtige Eisenbahnverbindung zwischen Duisburg und Düsseldorf ein „Schwarzbau“?

Dies muss dringend geklärt werden.Denn eins steht fest: Bei der Frage, ob die pausenlos befahrene und vielmals ausgebaute Bahntrasse in Düsseldorf-Angermund jemals rechtmäßig genehmigt wurde, handelt es sich mitnichten um eine Posse oder das schrullige Nachbohren unsererBürgerinitiative, sondern vielmehr um eine grundlegende Frage nach Recht und Gesetzmit enormen Auswirkungen auf den Bahnbetrieb in NRW und Deutschland.

Verwaltungsrechtler Dr. Clemens Antweiler erläutert in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift  Bahn-Manager die Auswirkungen des offensichtlichen Genehmigungschaos’ dieser Trasse ua. für das Prestigeprojekt RRX und hinterfragt die Rolle des Eisenbahnbundesamtes als Aufsichtsbehörde sowie der Deutschen Bahn.

Wir zitieren aus der Ausgabe 2/2018

Im Zusammenhang mit dem geplanten Rhein-Ruhr-Express hat sich herausgestellt, dass für die vorhandene Trasse im Abschnitt Düsseldorf –Duisburg keine Genehmigungsunterlagen vorliegen. Welche Auswirkungen hat das auf den aktuellen Betrieb?

Die ersten beiden Gleise dieser Strecke wurden ab 1843 verlegt. Im 20. Jahrhundert folgten dann mehrere größere Ausbaumaßnahmen (Errichtung von zwei weiteren Gleisen in den 30er Jahren, Elektrifizierung in den 50er Jahren und Einbau einer neuen Signal- und Leittechnik zur Ermöglichung des Einsatzes von ICEs in den 90er Jahren).

Planfeststellung

„Betriebsanlagen einer Eisenbahn einschließlich der Bahnfernstromleitungen dürfen nur gebaut oder geändert werden, wenn der Plan vorher festgestellt ist.“ So steht es im Allgemeinen Eisenbahngesetz. Den Planfeststellungsbeschluss erlässt das Eisenbahn-Bundesamt (EBA), nachdem es sowohl die Träger öffentlicher Belange als auch die Öffentlichkeit beteiligt hat.

Altstrecken

Schon im Reichsbahngesetz von 1924 war die sog. Bauplanfeststellung zwingend vorgeschrieben. Bei älteren Eisenbahntrassen muss man differenzieren: Außerhalb des Gebiets des ehemaligen Preußen reichte eine bloße Widmung aus. Anders war es in Preußen und damit auch im Rheinland: Bereits das Königlich Preußische Eisenbahn-Gesetz vom 3.11.1838 bestimmte, dass eine Eisenbahntrasse nur gebaut werden darf, wenn „zuvor der Bauplan im Wesentlichen festgestellt“ ist. Weiter hieß es dort, dass „die Verhältnisse der Construktion, sowohl der Bahn, als der anzuwendenden Fahrzeuge, an diese Genehmigung gebunden“ sind.

Schwarzbau

Ein Infrastrukturvorhaben, welches ohne die erforderliche Planfeststellung errichtet wird, ist rechtlich als Schwarzbau einzuordnen. Nachbarn sind nicht verpflichtet, einen Schwarzbau der öffentlichen Hand zu dulden. Sie haben einen Folgenbeseitigungsanspruch. Denn, so das Bundesverwaltungsgericht: „Es gibt keinen Grund, rechtswidriges Verhalten der öffentlichen Hand dann zu <<privilegieren>>, wenn vollendete Tatsachen geschaffen worden sind.“

Begrenzt wird der Folgenbeseitigungsanspruch durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein Anspruch auf Stilllegung oder Abriss einer rechtswidrig errichteten Infrastruktur steht den Nachbarn deshalb nicht zu; wohl aber können sie nachträgliche Schutzauflagen oder Betriebsbeschränkungen fordern, z.B. Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Nachtfahrverbote.

Reaktionen

Die Reaktion der DB auf die ersten Schwarzbau-Berichte ist sehr knapp: „Diese entbehren jeglicher Grundlage.“ Ansonsten weist die DB nur darauf hin, dass in den beiden Weltkriegen zahlreiche Unterlagen vernichtet wurden. Auch die Planfeststellungsunterlagen für die Trasse Düsseldorf – Duisburg? Möglich, aber wenig wahrscheinlich. Denn falls jemals irgendwelche Planfeststellungen erfolgt wären, hätten die Tageszeitungen darüber berichtet; entsprechende Zeitungsartikel scheint es aber nicht zu geben. Und auch wenn die nach preußischem Recht erforderliche Bauplanfeststellung für die ersten beiden Gleise wirklich nur verloren gegangen wäre: Es bliebe dann dabei, dass keine Planfeststellungsbeschlüsse für die im 20. Jahrhunderts durchgeführten Baumaßnahmen existieren.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst zeigt sich nach außen hin gelassen: Es liege „sogar eine preußische Urkunde“ vor. Damit meint er die „Konzessions- und Bestätigungsurkunde für die Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft“ vom 18.12.1843. Bei dieser handelt es sich jedoch nur um gesellschaftsrechtliche „Statuten“; Regelungsgegenstand sind z.B. die Höhe des Stammkapitals oder die Beschlussfassung in der Generalversammlung, nicht aber Fragen des Schienenwegebaus.

Das EBA hat immerhin eingeräumt: „Altanlagen, die vor 1920 indienstgestellt wurden, bedurften lediglich in Preußen einer Planfeststellung.“ Die rechtliche Konsequenz, ohne Planfeststellung errichtete Altanlagen als Schwarzbau zu behandeln, will das EBA aber nicht ziehen. Statt dessen versucht es, mit angeblichem Bestandsschutz zu argumentieren. Dieser kann allerdings nur eingreifen, soweit der vorhandene Bestand rechtmäßig errichtet wurde, was dann nicht der Fall ist, wenn es nie einen Planfeststellungsbeschluss gab. Außerdem meint das EBA, es werde „für historische Bahnanlagen die Existenz einer Widmungsverfügung unwiderleglich vermutet“. Das aber gilt ausschließlich dort, wo eine bloße Widmung als Rechtsgrundlage für den Bau einer Eisenbahntrasse ausreichend war, also gerade nicht im ehemaligen Preußen.

Fragen

Damit stellen sich zahlreiche Fragen: Welcher Betriebs- und Nutzungsumfang ist für den betreffenden Streckenabschnitt nach Auffassung des EBA genehmigt? Woraus lässt sich entnehmen, welche Fahrzeuge in welcher Taktung eingesetzt werden können und welche Geschwindigkeiten zulässig sind? Welche Gefahrstoffe dürfen im Güterverkehr auf diesem Streckenabschnitt transportiert werden? Wer definiert überhaupt die Grenzen der zulässigen Nutzung dieses Streckenabschnitts – das EBA oder die DB selbst? Und weiter: Wieso sollen Eisenbahnverkehrsunternehmen für die Nutzung der Trasse Düsseldorf – Duisburg noch ein Trassenentgelt zahlen, wenn der Bau dieser Teilstrecke nie genehmigt wurde?

Fazit

Wo die DB für Eisenbahntrassen keine Planfeststellungsbeschlüsse vorweisen kann, drohen Betriebsbeschränkungen. Viel zu lange gab es im Eisenbahnverkehr die seltsame Situation, dass eine Einheit – zunächst die Reichsbahndirektion, dann die Bundesbahndirektion – sowohl Unternehmensleitung als auch Aufsichtsbehörde war. Da lag es nahe, die Chancen und Risiken geplanter Investitionen eher durch die Brille der Unternehmensleitung zu betrachten als aus der Perspektive der Aufsichtsbehörde. Die Bahnreform aus den 90er Jahren hat diese Situation beendet. Höchste Zeit also, dass sich das EBA endlich emanzipiert und seine Aufsichtsfunktionen gegenüber der DB effektiv wahrnimmt! Ob der neue Bundesverkehrsminister dafür sorgen wird, dass es dazu kommt?

Quelle: Bahn Manager, 2/2018